Offener Brief an Flüchtlingskoordination, Ministerien und Länder

Sehr geehrter Herr Takacs,
Sehr geehrter Herren Bundesminister,
Sehr geehrte Landeshauptfrau und Landeshauptmänner,
Sehr geehrte Damen und Herren,

200.000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind schon nach Österreich gekommen, rund 40.000 vorerst geblieben, weitere kommen hinzu. Der Flüchtlingskoordinator Michael Takacs geht davon aus, dass ca. 150.000 bis 200.000 Schutzsuchende in Österreich ein neues Zuhause finden werden. Darunter befinden sich auch Menschen mit einer Behinderung[1]. Sie benötigen spezifische Angebote, um ihre Bedarfe zu decken. Deshalb ist es entscheidend, dass die zuständigen Behörden in Gemeinden, Ländern und dem Bund ebenso wie Hilfsorganisationen, Wirtschaft und Unternehmen wissen, was gebraucht wird, die erforderlichen Mittel bereitstellen und angemessene Maßnahmen anbieten.

Beratung, Betreuung, Dolmetschung

Ein Monat nach Beginn der Aufnahme vertriebener Ukrainer*innen zeigt sich, dass die Zahl gehörloser Flüchtlinge verhältnismäßig hoch ist (z.B. im Vergleich zu geflüchteten Menschen aus Syrien). Für die spezifische Unterstützung und Beratung von gehörlosen Ukrainer*innen, die nach Österreich geflüchtet sind, stehen nur unzureichend Mittel zur Verfügung.

Die Kommunikation mit gehörlosen Ukrainer*innen stellt eine große Herausforderung dar, da es in Österreich kaum Gebärdensprachdolmetscher*innen gibt, die auch die ukrainische (oder behelfsmäßig die russische) Gebärdensprache beherrschen. Oft braucht es mehrere Zwischen-Übersetzungen (z.B. über International Sign), womit die Kosten sprunghaft steigen.

Hilfsorganisationen, Gehörlosenverbände und -ambulanzen versuchen nach Kräften, die Rechte gehörloser Vertriebener auf barrierefreien Zugang zu Information zu respektieren. Um der Zielgruppe der vertriebenen gehörlosen Ukrainer*innen gerecht zu gehen manche Institutionen und Vereine sogar mit Finanzmitteln in Vorlage, weil die Zuständigkeiten von Bund und Ländern nicht vollständig geklärt sind und nicht genügend Mittel bereitgestellt werden.

Dolmetschung wird bereits im Moment der Ankunft gebraucht, d.h. Mittel müssen jederzeit verfügbar sein. ÖGLB und WITAF fordern die Flüchtlingskoordination, Bund und Länder daher mit Nachdruck auf, die Kompetenzen zu klären, die Ressourcen für Unterstützungsangebote und der Beratungseinrichtungen für gehörlose Vertriebener auf Bundes- und Landesebene im erforderlichen Ausmaß bereitzustellen sowie die Übernahme jeglicher Dolmetschkosten aus öffentlichen Mitteln unverzüglich zu gewährleisten (Gleichstellung Gebärdensprachdolmetschleistungen und Dolmetschleistungen externer Sprachkundiger).

Unterbringung

Alle, die in Österreich Schutz suchen, müssen ein Dach über dem Kopf haben und versorgt sein. Gehörlose Vertriebene aus der Ukraine müssen in Gruppen untergebracht werden, damit sie ein soziales Umfeld aufbauen können und nicht als Außenseiter der eigenen Gesellschaft und zusätzlich in einem fremden Land isoliert bleiben. Eine gemeinsame Unterbringung unterstützt die Traumabewältigung, die soziale Integration und die psychische Gesundheit der Betroffenen entscheidend!
Zudem birgt eine Unterbringung in Gruppen bessere Möglichkeiten der Kommunikation zwischen betreuenden Institutionen und gehörlosen Vertriebenen und einen effizienteren Einsatz der kaum verfügbaren Gebärdensprachdolmetscher*innen mit den entsprechenden Kompetenzen.

Aus den Jahren 2015/16 wurde Infrastruktur in Reserve gehalten und die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen eingerichtet. Die Voraussetzungen sind also gegeben, um bundesweit eine adäquate Beherbergung gehörloser Flüchtlinge von der öffentlichen Hand zu gewährleisten.

Behindertenpass

In Österreich wird eine Übersetzung des ukrainischen Behindertenpass als befristeter Behindertenpass anerkannt. Wenn sich der Aufenthaltsstatus ändert, ist voraussichtlich die Beantragung eines permanenten Behindertenpasses (amtlicher Lichtbildausweis als bundeseinheitlicher Nachweis einer Behinderung) erforderlich. Das Dokument wird dann in deutscher Sprache in Form einer Scheckkarte ausgestellt.

Die unterzeichnenden Organisationen ersuchen

  • um die Bereitstellung von Information über den Behindertenpass in Ukrainisch zu publizieren und den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpassen in einer Übersetzung aufzulegen;
  • um die Anerkennung der Feststellung eines entsprechenden Behinderungsgrades durch jede*n Ärztin/Arzt in Österreich, falls keine Befunde/Gutachten aus der Ukraine beigebracht werden können.


ÖGLB und WITAF ersuchen die Flüchtlingskoordination weiters, einen konstruktiven Austausch zwischen Vertreter*innen von Bund, Ländern und NGOs zu organisieren, um eine qualitätvolle Betreuung gehörloser Geflüchteter sicherzustellen.

13.04.2022 Manfred Schütz
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